Ihr kennt sie ja. Ihr wisst ja, wie schön sie ist. Wie besonders. Wie faszinierend. Sicherlich – ich unterliege ihrem Charme noch mehr als andere. Aber vielleicht auch deswegen, weil ich ihren Wert noch besser erkenne als andere.
Wie auch immer. Wir wollten zusammen ausgehen. Beide waren wir einverstanden und hatten große Pläne. Wir freuten uns, auf das, was vor uns lag, aber vor allem auch über das, was wir im Moment gerade erlebten. Schön haben wir uns gemacht, wollten wir doch unserem Gegenüber, ebenbürtig unseren Respekt und unsere Wertschätzung zukommen lassen.
Und in der Tat war es wundervoll. In einem Restaurant saßen wir an einem intimen, gemütlichen Tischchen und haben uns eine ganze Weile interessiert ausgetauscht. Gegenseitig haben wir voneinander gelernt, wie man den Wein am besten genießt, was man beim Essen alles beachten kann, wie man achtsam miteinander kommuniziert und noch viele andere interessante Aspekte des Lebens.
An einem bestimmten Moment habe ich mich daran erinnert, dass sich auch noch andere Frauen im Lokal befanden. Auf den ersten Blick wirkten diese auch anziehend und ich konnte mir auch gut vorstellen, mich mit der einen oder anderen intensiver auszutauschen, wäre ich nicht schon mit Dorothée hier gewesen. Sie allerdings hatte in diesem Moment nur Augen für mich, und ich wusste, dass sie sich dasselbe von mir gewünscht hätte. Mit der Absicht, vollkommen aufrichtig und ehrlich mit ihr zu sein, und mit dem Risiko, sie dadurch zum Gehen zu bewegen, beichtete ich ihr meine instinktiven Bedürfnisse nach multipler Erbgutverteilung und meine gewitzten Ideen von freier Liebe. Sie hat verstanden. Und auch wenn es sie sehr enttäuscht und traurig gemacht hat, ist sie geblieben. Und auch ich war für sie da, und wir fuhren fort, uns auszutauschen und voneinander zu lernen.
Irgendwann einmal waren wir alle interessanten Punkte der Speisekarte durchgegangen. Und wir hatten uns wohl auch inzwischen ausreichend ausgetauscht, sodass wir Lust hatten, uns ein paar Kinder mit an den Tisch zu holen, um auch sie in die Kunst des Genießens einzführen. Klar war das spannend und aufregend. Aber natürlich auch anstrengend und frustrierend. Denn wenn sie auch ausgiebig genießen wollten, wollten sie nicht unbedingt verstehen, dass man dies auch erst einmal lernen muss. Oder wir, als Erfahrene, haben nicht unbedingt verstanden, dass sie in ihrem eigenen Rhythmus lernen wollten und dass dieser Rhythmus nicht immer derselbe ist, den wir uns gerade wünschen.
Jedenfalls hatten wir dadurch viel weniger Zeit, unser eigenes Mahl zu genießen. Und auch noch viel weniger, um uns wie vorher darüber auszutauschen und miteinander zu genießen. Und wenn wir uns auch bemüht haben, uns die Verantwortung für die Kinder gerecht aufzuteilen, kann man wohl doch davon ausgehen, dass Dorothée anfangs einen deutlich größeren Teil der Belastung getragen hat als ich, denn schon rein körperlich suchten die Kinder ihre Nähe besonders. Und auch wenn sie es genossen hat, ihr Essen mit den Kindern zu teilen, hat sie es doch auch irgendwann einmal vermisst, etwas für sich ganz allein genießen zu dürfen. Irgendwann hat das sogar dazu geführt, dass sie immer öfter, wenn sie die Gelegenheit dazu hat, lieber allein genossen hat als mit mir.
Hinzu kam außerdem ein Moment, an dem wir an die Bezahlung der ganzen Geschichte denken mussten. Und dafür mussten wir uns ab und zu mal vom Tisch entfernen, um uns versorgungstechnisch zu verdingen. Da Dorothée mehr mit den Kindern beschäftigt war als ich, lag es nahe, dass ich mich mehr um die Versorgung kümmerte, was ich meinerseits aber auch genoss. Die Werte sind dafür in unserer Gesellschaft sehr frei verschiebbar, und das hat viele Vorteile, leider aber auch ein paar Nachteile. Denn während ich für die Versorgung unterwegs war, hatte Dorothée ebenfalls Lust, aber vielleicht auch ein gewisses Gefühl der Verpflichtung, zur Versorgung beizutragen und ging dem auch nach. Dadurch entstand für mich wiederum das Gefühl, dass die Kinder nicht die Aufmerksamkeit und Fürsorge genießen konnten, die ihnen zugestanden hätte. Und ihnen diese zu geben, sah ich ebenfalls als meine Verpflichtung an. Unter der daraus entstandenen Mehrbelastung und Unzufriedenheit bin ich irgendwann einmal zusammengebrochen und habe gar nichts mehr genossen. Ich habe auch nicht mehr versorgt und mich nur noch wenig gekümmert.
Bestimmt war mein Zusammenbruch nicht sehr appetitlich anzusehen und hat Dorothée ganz sicherlich auch große Angst bereitet., Ganz instinktiv wird sie sich wohl sorgen gemacht haben, wie das gute Essen für sie und die Kinder denn in Zukunft bezahlt werden kann. Außerdem war dies der Moment gewesen, als ich meinem tiefen Bedürfnis nachging, mich des Öfteren nicht nur für die Versorgung sondern auch für meine persönliche seelische Gesundheit vom Tisch zu entfernen. Ich riet auch Dorothée dazu aber 1) fühlte sie sich nicht bereit und/oder befugt, sich von den Kindern zu entfernen und 2) fühlte sie sich von mir dazu gedrängt, sich auf gleiche Weise um ihre seelische Gesundheit zu kümmern wie ich (Meditation). Wenn man einen direkten Zusammenhang zwischen dem Zusammenbruch und der Meditation sieht, wirkt das natürlich nicht sehr überzeugend.
Ich denke, dass es besonders ab diesem Moment war, dass sie sich daran erinnert hat, dass es noch andere Männer im Lokal gab. Andere Männer, die auf den ersten Blick auch anziehend wirkten und mit denen ein intensiverer Austausch sicherlich lohnenswert wäre.
Die preiswerten, gesunden und moralisch einwandfreien Gerichte auf der Karte sind schon ganz bestimmt vollwertig und auch schmackhaft. Aber manchmal wirkt etwas anderes und exquisites verlockend. Außerdem ist der neue Austausch mit jemand anderem über das gemeinsam Genossene wahrscheinlich noch wichtiger.
Der Mann vom Nachbartisch sitzt auch mit seiner Frau und Kindern da. Warum sollten wir den Austausch auf unseren Tisch beschränken? Warum sollten wir uns im Bezug auf Austausch mit den anderen Restaurantbesuchern Grenzen setzen. Vor allem, wenn wir langsam den Eindruck bekommen, dass es sich nicht nur um ein Restaurant, sondern auch um einen Club handelt. Vor der Ankunft der Kinder wussten wir das schon einmal. Und jetzt verstehen wir es wieder mehr und wollen dies auch nutzen.
Bei einer meiner Abwesenheiten hat sie also (mit meinem Einverständnis) Kontakt zum Nachbarn aufgenommen. Und sie ist ihrem Bedürfnis nachgegangen (weniger mit meinem Einverständnis), ihren Platz an unserem Tisch zu verlassen, um sich mit ihm (für eine gewisse Zeit) an der Bar oder vielleicht sogar an einen anderen Tisch auszutauschen. Meine Bitte, an unserem Tisch zu bleiben, damit wir den Abend weiterhin zu zweit (bzw. zu fünft) verbringen, hat sie beeindruckend lange ungerührt gelassen.
Auch wenn es eigentlich mein Wunsch ist, den Abend eher intim zu verbringen, war ich bereit eine Öffnung unter folgenden zwei Bedingungen zu akzeptieren:
1) Da für mich die Beziehung mit ihr und unsere gegenseitige Offenheit und Ehrlichkeit an erster Stelle steht, wollte ich über ihre Mobilität und Kommunikation mit anderen während meiner Abwesenheit im Klaren sein, also auch in Kenntnis darüber gesetzt werden. Zumindest wollte ich, dass es kein Tabu wäre, sollte ich einmal das Bedürfnis nach grundsätzlichen Informationen haben. (Ich spreche hier nicht von intimen Details, selbst wenn ich zugeben muss, dass ich auch dafür ein gewisses (unmoralisches!? aber sicherlich natürliches) Interesse verspüre.)
2) Ich wollte von ihr die Zusage, dass unser Tisch ihr Haupttisch und ich ihr Hauptaustauschpartner bleiben würde.
Diese beiden Bedingungen wollte sie nicht akzeptieren. Darum sitzen wir zwar jetzt noch am gleichen Tisch, um uns um die Kinder zu kümmern, der unmittelbare Austausch zwischen uns beiden ist aber auf ein Minimum beschränkt.
Geändert hat sich die Situation nur einmal kurzfristig, als sie, wieder einmal an der Bar, einer anderen, zunächst für sie unscheinbaren Frau von den Vorteilen der freien Abendgestaltung erzählt hat und diese daraufhin an unseren Tisch kommt, um sich mit mir auszutauschen. Als Dorothée daraufhin realisiert, dass auch ich meinem inzwischen lange unbefriedigten Bedürfnis nach persönlicher Kommunikation mit dieser Frau nachkomme, kommt sie wütend zurück, verjagt die „treulose“ Frau und schließt den Tisch für ungebetene Gäste. Ich bin, mit Vorbehalten, erst einmal beruhigt und einverstanden.
Zurück zum Status Quo also!?
Zumindest bis zu dem Moment, wo ich wieder einmal abwesend bin und Dorothée den Tisch erneut öffnet. Sie bleibt mir gegenüber aber bewusst darüber im Unklaren, wie weit sie sich diese Öffnung für sich selbst und für mich vorstellt.
Im Moment habe ich den Eindruck, dass sie mir so wenig wie möglich Information über ihre eigene Mobilität und Kommunikationsfreude geben will. Einerseits, weil es mich nichts mehr angeht. Denn der gemeinsame Abend ist trotz gemeinsamen Tisches aufgehoben. Andererseits aber auch, um die Kommunikationsfreude mit anderen nicht „unnötig“ auch bei mir zu erwecken. Falls es mit dem neuen doch wieder abflaut oder dieser seinerseits das Interesse verliert, ist es sicherer, an einen gedeckten und aufgeräumten Tisch zurückkehren zu können, wo man weiß, was man hat. Wer würde sich denn darum kümmern, wenn auch ich mich an der Bar austauschen würde und mich eventuell an einem anderen Tisch dauerhaft niederließe?
Inwieweit ich mich darauf einlassen soll, oder inwieweit ich unseren Tisch intakt und Dorothées Platz frei halten soll, frage ich mich gerade.
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