Dienstag, 15. September 2015

Erwachen (1998)


Rauschen durchdringt meinen Kopf. Ein anderer Rausch als letzte Nacht. In gleichmäßigen Intervallen, ständig an- und abschwellend. Bei jeder Wiederkehr verstärkt sich das Getöse, und mein Kopf beginnt im selben monotonen Rhythmus zu dröhnen.

Erdrückende Hitze liegt auf meiner Haut, und gleißendes Hell durchscheint die Augenlider, um mich vollends aus Morpheus Reich in das der Lebendigen zurückzuführen. Ein pelziger Geschmack beherrscht meine Mundhöhle. Kopf und Oberkörper bewegen sich zu Seite, um unverdauten Sangria und Hansapils den Weg von Magen bis in den Sand neben mir zu ermöglichen. Ungeheure Schmerzen bringen meinen Schädel fast zum Bersten, und ein schwaches Stöhnen entweicht meiner Kehle.

Silbernes Kinderlachen dringt an mein Ohr. Und nun, da ich die Augen einen Spalt breit öffne, erblicke ich ein kleines Mädchen, das mit ausgestrecktem Finger au mich zurennt. Nach wenigen Metern wird sie jedoch vom Vater eingeholt, der ihr die Augen zuhält und sie zum Strand zurückführt.

Ich schaue an mir herab. Mein freier Oberkörper ist tiefrot gefärbt. Ich bin barfuß und meine Shorts sind bis zu den Knien heruntergezogen. Neben mir liegt mein nach Bier riechendes Hemd und ein geöffnetes aber unbenutztes Präservativ. Was es mir bedeuten soll, vermag ich im Moment jedoch nicht zu enträtseln.

Die Sonne steht im Zenit, und so ziehe ich meine Hosen hoch, streife mein Hemd über und schließe die Augen. Denn 16 Uhr schon öffnet der Ballerman wieder.

Wenn man es gut meint, kann man die Darstellung als pfiffige Groteske werten, die im Abschluß noch ihr Thema findet und situativ äußerst realitätsnah, wenn auch ekelerregend bleibt.
Obwohl Kind und Vater den Wirklichkeitsausschnitt kurz bewertend erhellen, bleibt der Text eine zweideutige Variante, die in der Bewertung vom Leser abhängig ist.

12 P.
F. Lohse
05.07.1998

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