Dienstag, 15. September 2015

Brief an den Meditationslehrer nach meinem ersten 10-Tages-Kurs Vipassana

Stuttgart (im Zug zurück nach Angers), Sonntag, 02.11.2014

Lieber Thomas,

Leider fande ich während des Kurses nicht die richtige Gelegenheit, die richtigen Worte oder den nötigen Mut, Dir zwei Fragen zu stellen, die mir wichtig sind. Ich weiß, dass eine schriftliche Beantwortung mehr Zeit beansprucht, welche sich außerdem noch außerhalb des Kurszeitraums befindet. Ich wäre darum schon über ein sehr einfaches „Ja“ oder „Nein“, eventuell mit einer kurzen Erläuterung sehr dankbar. Im Übrigen möchte ich Dir schon/noch jetz Danke sagen (und Meta fühlen) für Deine gesamte Einbringung während des Kurses. Zwar war ich machmal enttäuscht oder frustriert über Deine Antworten auf meine Fragen, aber ich habe inzwischen verstanden, dass meine Fragen einerseits nicht klar genug formuliert waren (ich nicht die richtigen Worte gefunden habe, oder ich mich nicht frei genug gefühlt habe, um mich ungehindert auszudrücken (begrenzte Zeit, die Anwesenheit der anderen Schüler, Dein Autoritätsstatus)), und sich andererseits die richtigen Fragen erst jetzt herauskristalisiert haben.
1) Am Anfang des Kurses saß ich nur mit einem dünnen Sitzkissen, da ich aus verschiedenen Gründen gern „minimalistisch“ und „puristisch“ arbeite. Am 4. Tag, als ich von den Adittana Stizungen ein wenig überrascht wurde, habe ich mir mit Hilfe von mehreren Kissen eine Postion ermöglich, mit der ich „leicht“ 1 Stunde und bald auch 2 Stunden sitzen konnte. Mein Ziel blieb es jedoch, mich sobald als möglich „unabhängig“ und „frei“ von diesen äußeren Hilfsmitteln zu machen, und so enfernte ich die Kissen eines nach dem anderen, bis ich die letzten beiden Tage wieder mit meiner Anfangsausstattung des dünnen Sitzkissens saß, und mir es diesmal auch möglich war, 1 Stunde, 1,5 Stunden und ein Mal auch 2 Stunden zu sitzen. Dies hat mir sehr viel Adittana abverlangt und mich viel Gleichmut gelehrt. Vielleicht kann ich damit zufrieden sein, denn ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich die 10 bzw. 9 Tage sehr hart gearbeitet/gerudert habe. Ich frage mich aber, ob ich eventuell vergessen habe, die Leine des Bootes dabei loszumachen!?
Zur Erklärung muss ich anfügen, dass ich natürlich trotzdem Vipassana geübt habe und auch Fortschritte erzielt habe, was das Spüren meines Körpers betrifft. Hätte ich aber die ganze Zeit meine Kissen behalten, hätte ich mehr mit anderen groben und feinen Empfindungen arbeiten können, anstatt überwiegend mit dem äußerst intensiven Brennen in meinen Knien und Hüften. (Am 8. Tag habe ich z.B. „trotzdem“ eine interessante Erfahrung von Anitcha gemacht, als sich eine ebenfalls recht intensive und grobe Empfindung im Rückenbereich aufgelöst hat.) Die letzten Tage war mein Geist oft so müde und sehr beansprucht im Gleichmut üben, dass ich zeitweise große Schwierigkeiten hatte, durch meinen Körper bzw. die einzelnen Teile bzw. ihre Oberfläche zu fließen. Ist meine „Taktik“ vereinbar mit den Prinzipien von Dhamma?
2) Die letzte Adittana-Sitzung des 8. Tages war eine der ersten von diesen sehr schweren Prüfungen, die ich mir auferlegt hatte. Aber an deren Ende konnte ich auch einen „Fortschritt“ machen, durch den ich mich überschwenglich zu neuen, noch schwereren Prüfungen für den 9. Tag verleiten lassen habe (z.B. die 2-stündige Morgensitzung auch im Adittanamodus zu sitzen). Am Ende also der letzten Sitzung des 8. Tages waren die die groben Empfindungen in meinen Hüften so intensiv, dass ich in einer bestimmten Technik „Zuflucht“ suchte: Auch wenn es mir mehr oder weniger schwer fällt, über oder gar durch meinen Körper zu fließen (aufgrund blinder und grober Stellen, der Position der Gliedmaßen oder der Müdigkeit meines Geistes), so ist es mir doch meist möglich, meinen Körper (nach und nach) „anzumachen“. Ich fange dann oben am Kopf und hinten am Rücken an und spüre nach und nach das Kribbeln im ganzen Körper auf permanente Weise, außer an den Stellen mit groben Empfindungen und den mehr oder weniger blinden Stellen (diese sind aber wesentlich seltener als beim „normalen“ Fließen und auch nicht komplett blind). Ich hatte während einer der „Fragen-Sitzungen“ eine Schülerin fragen hören, ob sie dieses permanente Vibrieren spüren darf, anstatt „normal zu fließen“, und Du hattest dies bestätigt.
Jedenfalls kann ich das Vibrieren und die groben Empfindungen gleichzeitig spüren und das macht die Gesamtsituation um einiges „akzeptabler“. Ist es mit den Prinzipien von Dhamma vereinbar, dies zu tun? Einerseits mag es vielleicht wie eine Zuflucht erscheinen, andererseits bi ch mir aber der intensiven und groben Empfindungen immer noch bewusst, auch wenn ich sie mir mit den feinen Empfindungen „versüße“. Im Alltag ist es ja auch so, dass eine Stressituation leichter mit Gleichmut zu akzeptieren ist, wenn sich gleichzeitig bewusst ist, sich insgesamt doch in einer komfortablen Lebenssituation zu befinden. Das Problem, dass ich sehe, wäre, dass ich durch dieses „Versüßen“ eventuell die beiden Empfindungen bewerte, indem ich sie „gegenüberstelle“. Andererseits würde ich es auch nicht schlüssig finden, die feinen Empfindungen mehr oder weniger bewusst auszublenden, um mich nur auf die groben zu konzentrieren.
Ich habe es aber immer wieder probiert, meinen Geist durch AnaPana zu konzentrieren, um dann die Körperteile einzelnen beobachten zu können. Dies wurde mit zunehmender Dauer des Tages und der Sitzung, mit zunehmender Intensivität der groben Empfindungen und mit zunehmender Müdigkeit des Geistes schwieriger. (Siehe Problem der 1. Frage).

Vielen Dank für Deine Aufmerksamkeit! Wie gesagt, wäre ein einfaches „O.K.“ wirklich ausreichend, oder auch ein „Nein“ mit einer ganz kurzen Begründung.
Herzlichst alles Gute, mögest Du glücklich sein, Michael Beckert.

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