Dienstag, 24. April 2018

Kollegah und Farid Bang haben Sie verstanden. Nicht aber die Künstler.

Herzlichen Dank an alle für die Teilnahme an diesem sozialen Experiment!
Vorbildlich haben Sie reagiert. Moralisch einwandfrei. Ein bisschen aggressiv und verbissen vielleicht, aber vorwerfen kann man Ihnen nichts. Außer vielleicht einen gewissen Hang zur Aufmerksamkeit und Beliebtheit. Aber auch das ist ja ein legitimes menschliches Bedürfnis.
Nun, da dieses erst einmal bis zu einem gewissen Maße befriedigt wurde, könnten wir uns über das Kunstwerk Kollegah, Farid Bang und den Song „0815 von den Künstlern Felix Blume und Farid Hamed El Abdellaoui austauschen. Vielleicht wussten Sie es nicht, aber Rap ist im Moment die wichtigste lyrische (und darstellerische) Kunstform in Deutschland, und die beiden zwei der wichtigsten Künstler auf diesem Gebiet. Und vielleicht wussten Sie auch nicht was Kunst ist, und das Kunst eigentlich nicht die Funktion erfüllt, die richtige Realität darzustellen oder persönliche Meinungen zu verbreiten. Kunst nutzt die Möglichkeit eines moralisch wertrelativen Raumes, um darin experimentell Alternativen zur üblich wahrgenommen Realität darzustellen und somit eventuell diese Üblichkeit nachhaltig zu verändern, zu erweitern.
Stellen wir uns vor, diesen Rahmen der moralischen Wertfreiheit gäbe es nicht.
Wie hätte zum Beispiel Quentin Tarantino eine Rolle wie die von Hans Landa für Inglourious Basterds entwerfen und wie Christoph Waltz sie spielen können? Warum wird er dafür unumstritten gefeiert, diese Rolle so glaubwürdig und überzeugend, zu inkarnieren, vor allem in der Gänsehaut erzeugenden Anfangsszene? Beweist das nicht seinen tief verwurzelten Antisemitismus?
Wenn Sie denken, dass man das nicht mit 0815“ vergleichen kann, ist das ein ernst zu nehmender Hinweis, dass Sie Kunst im Allgemeinen und Rap im Speziellen nicht im gleichen Sinne verstehen wie die Künstler selbst. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass es sich hier um ein Experiment handelt, um ein Schauspiel, eine Alternative zur Realität. Sie verwechseln die Künstler (Felix Blume und Farid Hamed El Abdellaoui) mit ihrem Werk (Kollegah und Farid Bang). Ein Rapper schreibt eben nicht nur Texte mit seinen eigenen politischen Botschaften, sondern er kreiert eine Figur, eine Rolle und spielt diese auch. Er kann Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler in einem sein. Kollegah und Farid Bang einen Echo zu verleihen, wäre wie Hans Landa einen Oskar zu verleihen. Ein Irrtum.
Interessant wäre es allerdings, Felix Blume und Farid Hamed El Abdellaoui mit einem Preis zu verleihen, einem würdigeren vielleicht als den sich einzig und allein am kommerziellen Erfolg orientierenden Echo.
Wenn ich lese, dass ein Lehrer diesen „Skandal“ zum Anlass genommen hat, seinen Schülern zu erklären, was antisemitisch heißt, und was Auschwitzinsassen sind, frage ich mich, was man noch mehr verlangen kann. Nicht, dass er sich dafür schämen sollte, dass seine Schüler bis dahin eine so markante Wissenslücke aufzuweisen hatten. Aber wenigstens könnte er (und viele andere) doch … und … dafür danken, ihn darauf aufmerksam gemacht zu haben. Seit wann hat man dann nicht mehr so viel über diesen tieftraurigen Teil unserer Geschichte gelesen und gesprochen? Wie tief war dieses Kapitel dann schon in Vergessenheit geraten?
Sicherlich leisten auch Campino und Freunde politische Aufklärungsarbeit. Aber sie müssen doch nicht jeden kritisieren, der nicht die gleiche Methode anwendet, wie sie selbst. Auch dann nicht, und vielleicht gerade dann nicht, wenn sie es nicht verstanden haben.
Zugegeben: Die Grenze zwischen Realität und Fiktion ist beim Rap weit weniger offensichtlich als beim Kino oder beim Theater. Aber das macht auch seinen Reiz aus. Und in Wirklichkeit bedient sich der Schlager derselben Methode. Oder glauben Sie wirklich, dass Helene Fischer immer so unterwegs ist, wie sie sich in ihren Liedern gibt? Ihre kreierte Rolle ist eben nur eine, die dem modernen Heimatfilm entspräche. Oder einer gut inszenierten Seifenoper. Rapper hingegen bieten uns Figuren mit Ecken und Kanten an. Figuren die stören. Figuren aus einem Thriller. Manchmal zumindest ;-)
Felix Blume und Farid Hamed El Abdellaoui haben das soziale Experiment nicht aufgelöst. Als Künstler ist es nicht ihre Aufgabe, ihr Werk für den Konsumenten aufzudröseln und zu rechtfertigen. Kunst hat per Definition das Recht zu provozieren und den Konsumenten auf eine falsche Fährte zu locken. Und wenn Sie den beiden auf den Leim gegangen sind, geht es Ihnen wie Erdogan mit Jan Böhmermann und sollten nicht dem Künstler dafür böse sein.
Nehmen Sie sich ein bisschen weniger ernst, lachen Sie über die gelungene Farce und seien Sie eventuell sogar dankbar für den sehr ernsthaften und wichtigen Denkanstoß, an dem wir hier teilhaben dürfen!